Es ist unglaublich. Wagemutig. Irgendwie.

Wenn ich eine Private Krankenversicherung in Betracht ziehe, gehe ich natürlich zur Beratung in die Verbraucherzentrale, erklärt mir der Testbericht der Stiftung Finanztest direkt zum Einstieg in den Artikel. So hat es zumindest die Finanztest-Leserin Thea Tatendrang (Der von der Redaktion geänderte Name wurde für diesen Artikel erneut geändert, um maximale Verwirrung zu fördern) getan. Sie wurde mit 50 Jahren verbeamtet und entschied nach der Beratung durch die Verbraucherzentrale, dass „die private Versicherung rechnerisch für sie einfach sinnvoller ist“ (Stiftung Finanztest 11/2019, S.82 ). Natürlich hat sie vorher „mühsam Leistungen der verschiedenen Angebote verglichen“ (Stiftung Finanztest 11/2019, S.82). Das wäre mit dem aktuellen Testbericht selbstverständlich schneller geschehen, wird dem interessierten Leser noch rasch hinterher geschoben.

Ein paar Seiten zuvor erfahren wir noch so einiges über die generelle Entscheidung zu den beiden Systemen (Gesetzliche Krankenkasse / Private Krankenversicherung). Dort finden wir auch Empfehlungen, die sich im Kern auf die Beitragshöhe berufen (und denken uns bereits hier unseren Teil…).

Der Test vergleicht 120 „leistungsstarke Tarife“ (Stiftung Finanztest 11/2019, S.82 ) und offenbart uns drei sehr gute und 16 gute Tarife.

Damit ist das Feld bestellt und wir begleiten Thea Tatendrang durch die Seiten, um zu erfahren, welcher leistungsstarke Tarif uns denn empfohlen wird.

Ich atme ruhig und gleichmäßig.

Was wird hier eigentlich getestet?

Eigentlich könnte man das Heftchen bereits mit dem Studium des Kästchens „Unser Rat“ auf Seite 83 beiseite legen. Denn wer als Versicherungsmakler einigermaßen regelmäßig Private Krankenversicherungen vergleicht, sollte die dort angeführten Tarife noch nie (Das bedeutet: In absolut KEINEM noch so seltsamen Ausnahmefall!) in Betracht gezogen haben. Doch leider lesen PKV-versierte Versicherungsmakler das Blättchen ungerne, da die Begleiterscheinungen des Textgenusses bestenfalls als körperliches Unbehagen beschrieben werden können (in der Vergangenheit kam es regelmäßig u.a. zu Schnappatmung, spontan ergrauten Haaren oder büschelweiser Ausfall derselben, Schrei-Attacken und vielerlei mehr, vielleicht berichte ich in einem anderen Artikel mal darüber). Ich quäle mich also durch die auf den Seiten 85 bis 88 verteilten „So haben wir getestet“-Erläuterungen, um zu erfahren welche Kriterien zu der hanebüchen Qualitäts-Rangliste geführt haben. Dazu später mehr.

Geflissentlich überblättere ich die Ergebnisse für Beamte, interessieren mich doch die Selbständigen und Angestellten mehr. Ein kurzer Gedanke, ob wohl die sehr guten und guten Tarife für Angestellte und Selbständige dieselben sind, weil in meinem Beratungsalltag (Ärztefamilien) meist Angestellte in die PKV wechseln, die später gegebenenfalls eine Selbständigkeit anstreben, führt mich dann, nach einem Blick über die Top5 der Tarife für Selbständige, zu den Tarifen für Angestellte.

Da mich meine langjährige Erfahrung gelehrt hat, verschiedene Techniken während einer Finanztest-Lesung zu gebrauchen (u.a. Atemtechniken, Aufstehen und beruhigendes Umhergehen, Emotionskontrolle, etc.), komme ich gut durch die Tabelle. Das Qualitätsurteil „sehr gut“ bekommt ein Tarif der Provinzial Hannover. Darauf folgen sieben „gute“ Tarife, wobei auf den Plätzen zwei und drei jeweils ein Tarif der Signal folgt. Das sind nun die drei Tarife mit einer eins vor dem Komma, also einer – nach bundeseinheitlichen Maßstäben – ausgezeichneten Note.

Möchte ich in einem der TOP-Tarife versichert sein?

Nun kann ich ja mit Leichtigkeit einen der Treppchen-Kandidaten auswählen und bin fein raus? Ist das der Rat an die Thea Tatendrangs da draußen?

Nein. Natürlich nicht.

Nein, natürlich NICHT! (Wiederholung, fett und GROßBUCHSTABEN zur Verstärkung der Aussage)

Zur Erklärung bemühen wir den vom geneigten Leser höchstens überflogenen Teil: „So haben wir getestet“.

  1. 80% des Finanztest-Qualitätsurteils nimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis ein und 20% die Beitragsentwicklung der vergangenen sechs Jahre.
  2. Es gibt einen Mindestleistungsumfang, der erhoben wurde. Diese Mindestleistungen machen bereits 86% der Gesamtpunktzahl aus. Alle getesteten Tarife erfüllen diesen Umfang (Wozu in aller Welt wurden diese Kriterien dann überhaupt berücksichtigt?).
  3. Die verbleibenden 14% konnte ein Tarif über Zusatzleistungen einheimsen. Und darüber wurden dann die Kategorien A-C gebildet.

Auf Seite 88 in den „Zusatzinformationen“ findet man die Erläuterung des „Leistungsniveaus“. Es wurden die Kategorien A-C gebildet, um auszudrücken, „wie weit die Leistungen des jeweiligen Tarifs über den von allen Tarifen gebotenen Mindestleistungen – und damit über dem Leistungsniveau der gesetzlichen Versicherung – liegen“ (Stiftung Finanztest 11/2019, S.88).

Jetzt wird es kritisch. Ich verstehe, dass die Seitenanzahl des Blättchens nicht ausreicht, um eine vollständige Analyse zu liefern, aber ob drei Kategorien wirklich ausreichen, um ein Leistungsniveau abzubilden?

digging deeper

Das Blättchen-Rating hebt also den Tarif der Provinzial Hannover nach ganz oben aufs Treppchen. Wundervoll. In einer Spalte kann man – direkt neben dem Preis-Leistungs-Verhältnis, das mit ++(0,5)(Höchstnote!) bewertet wurde – lesen: Leistungsniveau C. Nun wundere ich mich. Leistungsniveau C ist doch die schlechteste Kategorie, die der Test hergibt. Oder habe ich da was nicht ganz verstanden? (Hektisches Zurück- und Vorblättern ergibt keine neuen Erkenntnisse: Leistungsniveau C ist die unterste Leistungskategorie.)

Seufzend fahre ich das Internet hoch und suche mir die Versicherungsbedingungen der Provinzial Hannover raus… wie heißt der getestete Tarif doch gleich… ahja… da sind sie ja. Download gestartet.

30 Minuten später.

Ich könnte sicher zahlreiche Aspekte hier anführen, das mögen aber andere mit noch mehr Muße tun, ich habe schon zu viel Zeit in diesen Krams investiert. Daher kurz und knapp drei Hinweise:

Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie

Bist Du in diesem Blättchen-Sieger-Tarif der Provinzial versichert, dann rate ich Dir, für Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie schon mal das erste Sicherheitspolster anzusparen. Denn der Tarif sichert Dir die Leistung leider nur durch approbierte Ärzte zu. Bemühe mal das Internet und suche nach Ärzten, die gleichzeitig Physiotherapie, Logopädie oder Ergotherapie anbieten. Vielleicht findest Du eine Handvoll – in ganz Deutschland, obwohl ich mir das kaum vorstellen mag. Die Leistung ist also quasi nicht versichert.

Ambulante Psychotherapie

Brauchst Du nicht, ich weiß. Aber mal angenommen, man käme in die Versuchung doch eine Leistung abzurufen. Die Provinzial leistet dort möglicherweise, aber nur, „soweit dem Versicherer vor Beginn der Behandlung eine Beurteilung über die Heilungsmöglichkeit vorgelegt wird und er die Leistungen schriftlich zugesagt hat.“ Also leistet er nicht. Diese Leistung ist nicht versichert. Du bekommst sie, wenn die Provinzial sie Dir gewähren möchte. Tolle Aussichten.

Anschlussheilbehandlung

Während bei Psychotherapie der ein oder andere noch zucken mag und schon darüber nachdenkt, ob er diese Leistung überhaupt JEMALS abrufen würde, ist Anschlussheilbehandlung für die meisten Menschen sofort einleuchtend. Das soll mein Tarif leisten, denkt sich die geneigte Leserin gerade. Die Provinzial leistet auch hier. Allerdings mit der kleinen Einschränkung, dass die Anschlussheilbehandlung „innerhalb von 8 Tagen nach der stationären Akutbehandlung angetreten“ werden muss. Jetzt frage ich Dich: Kann es sein, dass man nach manchen Erkrankungen, länger als 8 Tage warten MUSS, bevor man überhaupt mit der Anschlussheilbehandlung beginnen sollte? (Da Du vermutlich Ärztin oder Arzt bist, wenn Du hier auf der Webseite liest, fallen Dir vermutlich direkt ein paar Erkrankungen ein, die etwas Wartezeit erfordern.)

gefährliche Leistungslücken

Ach und übrigens, die Sätze „Mit allen Tarifen in den Tabellen ab Seite 86 haben Kunden einen Versicherungsschutz deutlich über den Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen. Sie riskieren keine gefährlichen Leistungslücken, wenn sie hier günstige Tarife wählen.“ (Stiftung Finanztest 11/2019, S.84) sind hillarious, wenn ich das so ausdrücken darf. Die drei oben erwähnten Leistungslücken hat ein gesetzlicher Kassenpatient nicht.

Diese drei oben erwähnten Leistungslücken hat ein gesetzlicher Kassenpatient nicht.

Es bleibt vermutlich ein kleines schmutziges (Emotionskontrolle nicht erfolgreich. Hier gingen die Pferde mit mir durch. Entschuldigung.) Geheimnis dieser Blättchen, welche Leistungslücken nun als „gefährlich“ einzustufen sind.

Lustiger Teil: Ein Krankenversicherer war nicht zur Teilnahme bereit, daher wurden die Tarifdaten des Versicherers „verdeckt erhoben“ (Stiftung Finanztest 11/2019, S.85). Mich würde tatsächlich interessieren, wie man Tarifdaten verdeckt erheben kann. Denn mir scheint, dass sämtliche Tarifdaten VERDECKT erhoben wurden, oder zumindest mit zwei geschlossenen Augen…

Fazit: Worst Case!

Bleibt gut beraten.